FMH Geschäftsbericht
Geschäftsbericht 2017

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Global-

budget

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Globalbudget

Die Gesundheitskosten steigen und steigen, die Prämien belasten das Portemonnaie immer stärker. Die Politik scheint das Rezept gefunden zu haben: Sowohl eine Expertengruppe des EDI als auch parlamentarische Vorstösse verlangen die Einführung von Kostenobergrenzen – sogenannte Globalbudgets.

Globalbudgets im Gesundheitswesen sind nichts Neues: Deutschland kennt das Globalbudget flächendeckend für den ambulanten wie stationären Sektor seit 1989. Auch in den Niederlanden müssen von der Regierung festgelegte Ausgabenziele eingehalten werden. Und in der Schweiz können gemäss Art. 51 KVG die Kantone heute bereits im stationären Bereich mit Globalbudgets arbeiten. Anwendung finden sie allerdings nur in den Kantonen Genf, Tessin und Waadt.

Globalbudget als Allerheilmittel? Sehen und hören Sie in die kurzen Videostatements rein. Experten in unterschiedlichen Fachbereichen und aus verschiedenen Ländern erläutern, welche Erfahrungen sie mit Globalbudgets gesammelt haben und ob ein Globalbudget ohne weiteres auf die Schweiz übertragbar sei.

Dr. med. Jürg Schlup

Präsident der FMH

Wenn vom Gesetzgeber nicht definiert ist, bei welchen Patienten, ab wann welche Leistungen vorenthalten werden, wer muss dann diese Entscheidung treffen?

Globalbudgets sind der Startschuss für einen Systemwechsel unseres heutigen Gesundheitswesens! Die Politik will das Rationieren an die Ärztin, den Arzt delegieren: Benötigen die Patienten mehr als die Politik mit dem Globalbudget vorgibt, muss der Arzt, die Ärztin Leistungen verschieben oder vorenthalten.

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Prof. Dr. Ueli Kieser

Institut für Rechtswissenschaften und Rechtspraxis an der Hochschule St. Gallen

Mit dem Krankenversicherungsgesetz KVG besteht ein Leistungsanspruch für die Versicherten. Was passiert mit diesem Leistungsanspruch bei einem Globalbudget?

Krankenversicherung und Globalbudget passt irgendwie nicht zusammen. Wir haben eine Versicherung und eine Versicherung hat zu bezahlen, wenn das Risiko Krankheit eintritt; ob das viel kostet, ob das wenig kostet. Es geht um den einzelnen Leistungsanspruch und der lässt sich nicht deckeln. Globalbudget hat keinen Platz.

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Prof. Dr. Volker Ulrich

Universität Bayreuth

Deutschland kennt das Globalbudget seit 1989. Welche Erfahrungen hat Deutschland mit dem Globalbudget gemacht?

Ein Globalbudget ist ein Instrument der Kostendämpfung. Das hatten wir in den 1970er- / 1980er-Jahren – heute sollten wir die Finanzierung stärker am Behandlungsbedarf ansetzen. Wir wollen das finanzieren, was an Morbidität und medizinischem Fortschritt im System vorhanden ist. Ich sehe nicht wie Globalbudget, technischer Fortschritt und ambulant vor stationär zusammenpassen, da gibt es sicher bessere Steuerungsmethoden. Ein Globalbudget ist zu undifferenziert und eher eine Rasenmähermethode und würde uns im Schweizerischen Gesundheitswesen nicht voranbringen.

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Christian Camponovo

Direktor Clinica Luganese

Die Kantone können heute bereits für den stationären Sektor Globalbudgets einführen. Die Kantone Genf, Tessin und Waadt haben von dieser Option Gebrauch gemacht.

Wir wenden Globalbudgets nun seit fünf Jahren an. In dieser Zeit wurde klar, welche erheblichen Anwendungsprobleme damit verbunden sind. Ausserdem haben wir festgestellt, dass dieses Finanzierungssystem keine Vorteile bietet. Vor allem entstehen falsche Anreize, durch die sich das System anschliessend in eine Richtung entwickelt, die wir nicht wollen: Wir verlieren Qualität und Zeit.

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Dr. Dominik Graf von Stillfried

Geschäftsführer Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland

Deutschland kennt das Globalbudget seit 1989. Welche Erfahrungen hat Deutschland mit dem Globalbudget gemacht?

Wir haben die Erfahrung gemacht, dass ein Globalbudget dazu führt, dass immer neue Interventionen des Staates in das Gesundheitswesen folgen müssen. Da es ja nicht reicht, eine Geldmenge auf der obersten Ebene festzuschreiben, man muss dann auch sagen, wofür sie verwendet werden soll. Bei uns hat das dazu geführt, dass die einzelne Arztpraxis, das einzelne Krankenhaus in ein Korsett gezwängt wird, das sich nicht mehr am Bedarf der Patienten orientiert, sondern eben an finanziellen Vorgaben, die aus der Politik kommen und sich nicht mehr am Gesundheitswesen orientieren und das führt zu einer Verschlechterung der Versorgung und zu einer Erstarrung des Gesamtsystems.

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Heleen Post

Niederländische Patienten- und Konsumentenföderation

In den Niederlanden führt das Nichteinhalten von Ausgabenzielen im Nachhinein zu Budgetkürzungen. Leistungserbringer und Versicherer schliessen Vereinbarungen, um dies zu verhindern.

Wir haben auf Basis von Vereinbarungen ein Globalbudget eingeführt, auf das sich sämtliche Akteure des Gesundheitswesens geeinigt haben. Bezogen auf die Kosten hat dies tatsächlich gut funktioniert. Diese sind nicht so stark gestiegen wie von uns ursprünglich vermutet. Schwachstelle unseres Systems ist aber, dass es die Qualität der Behandlung nicht ausreichend berücksichtigt. Genau das ist aber für die Patientinnen und Patienten der entscheidende Punkt. Mein Rat an die Schweizerinnen und Schweizer: Globalbudgets können sinnvoll sein – aber nur, wenn dabei wirklich die Qualität der Behandlung im Mittelpunkt steht.

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